Distance Caregiving
Wenn Papa nicht um die Ecke wohnt
90 % der Arbeitnehmer finden sich kurz- oder langfristig in der Situation wieder, dass sie neben Job und der Familie noch für einen Angehörigen die Pflege übernehmen müssen. Für die meisten tritt dieser Fall überraschend ein – ebenso wie für 62 % der Arbeitgeber, die eine solche Möglichkeit auch nicht präsent haben.
Während der Babybauch oder auch die Fotos des Nachwuchses gern und stolz im Kollegenkreis vorgezeigt werden, gilt das für den Fall, dass die Mutter einen Oberschenkelhalsbruch erleidet oder der Vater einen Schlaganfall überlebt, eher weniger. Entsprechend bleiben hier das Mitgefühl, die Unterstützung und die Hilfsangebote aus.
Das ist schon ein Problem, wenn man von der idealen Situation ausgeht, in der der Familienrat früh und offen über diese Eventualität gesprochen und gemeinsam im Vorweg Optionen für die weitere Wohn- und Hilfebedürfnisse erwogen und optimiert hat. Doch meistens verkennt gerade die ältere Generation ihre schwindenden Kräfte, und umso plötzlicher sieht sich dann der berufstätige Nachwuchs in einem unangenehmen Dilemma – und das dank der modernen Flexibilität auch noch über Hunderte Kilometer hinweg.
Das Pflege- und Familienpflegezeitgesetz
Wenn ein Pflegefall eintritt, ist das erst einmal ein Schock für alle Beteiligten. Auf einmal müssen Wohn-, Versorgungs- und Pflegesituation organisiert werden, während man selbst noch versucht, mit den emotionalen Konsequenzen umzugehen. Ganz nebenbei funktioniert man irgendwie als Arbeitnehmer und womöglich Eltern weiter. Auf Dauer kann das nicht gut gehen, weshalb es ratsam ist, sich von der ersten Minute an fachkundige Hilfe zu holen. Das Ganze gelingt noch einigermaßen, wenn man übergangsweise erst einmal selbst einspringen kann, wenn der Angehörige vor Ort ist. Je größer jedoch die Distanz zwischen dem zu Pflegenden und seinen Angehörigen, desto größer die Herausforderungen.
Der Gesetzgeber hat die Rechte der Arbeitnehmer durch zwei Gesetze, das Pflege- und das Familienpflegezeitgesetz, gestärkt und sichert sie so im Falle von akuten und mittelfristigen Pflegesituationen finanziell ab. Allerdings fangen diese natürlich nur einen Bruchteil der eigentlichen Probleme auf. Der kluge Arbeitgeber kann sich genau an dieser Stelle als Vereinbarkeitsprofi darstellen und mit einfachen Mitteln den Arbeitnehmer dabei unterstützen, unter der Doppelbelastung nicht auch noch selbst zu erkranken.
Wissen ist Macht – wie Arbeitgeber mit Informationen im Pflegefall unterstützen können
- Gerade auf Distanz ist es schwierig, Alltagshelfer zum Einkaufen, für den Haushalt oder Essen auf Rädern zu organisieren. Hierfür ist es unerlässlich, einen gut organisierten ambulanten Pflegedienst zu beauftragen, der viele von den ergänzenden Dienstleistungen im Netzwerk hat. Informationen zu den Wohlfahrtsverbänden, die dieses besonders gut machen, kann der Arbeitgeber über eine Intranetseite einfach abrufbar machen. Hausnotrufsysteme entlasten den Pflegenden zusätzlich und bieten Sicherheit.
- Ebenso helfen gut sortierte Listen von Hilfestellungen für alle Pflegegrade dabei, die knapp bemessene Zeit effizient zu nutzen: Sammeln Sie hier Links zu Versandapotheken und Stellen, an denen Pflegemittel zum Verbrauch bestellt werden können – das erspart den Gang in Apotheke oder Drogerie.
- Damit der Pflegende selbst psychisch und physisch gesund bleibt, braucht er Informationen zu seinen Ansprüchen auf Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), Urlaub mit Pflegebedürftigen, stundenweiser Seniorenbetreuung bis hin zu Tages- und Nachtpflege und natürlich zu Kuren. Auch Links zu Selbsthilfegruppen können hier mit aufgeführt werden.
Was der Arbeitgeber außerdem tun kann
Manche schreiben Glückwunschkarten, schicken Blumen oder eine Windeltorte zur Geburt – das funktioniert auch im Pflegefall. Eine offene Kommunikation und proaktive Hinweise, dass man als Arbeitgeber am Befinden der Angestellten interessiert ist und bereit steht, wenn individuelle Lösungen entwickelt werden müssen, sichert langfristig die psychische Gesundheit Ihrer Mitarbeiter im Unternehmen.
Mitarbeiter, die sich wahrgenommen fühlen und ein gewisses Entgegenkommen durch den Arbeitgeber erfahren, sind langfristig weniger gestresst und können auch ihren beruflichen Verpflichtungen besser nachkommen.
Das muss auch nicht immer sofort teuer sein. Wie gesagt helfen das Pflege- und das Familienpflegezeitgesetz dem Pflegenden finanziell, ohne den Arbeitgeber zusätzlich zu belasten. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Recherche hierzu abnimmt und den Weg ebnet, zahlt sich das langfristig für beide Seiten aus. So gewinnt das ganze Unternehmen selbst im Pflegefall.